Der bürgerliche Makel

Als bloß angelernter Bürger habe ich mich mit der städtischen Wirklichkeit der arbeitsteiligen Produktion, des marktorientierten Handelns und der konsumistischen Lebensweise nie richtig anfreunden können. Lange Zeit hing ich dem Glauben an, dass mein Unbehagen ein Effekt gewisser Fehlentwicklungen und Schieflagen sei, für deren Zustandekommen man lediglich einen Teil der Bürgerschaft verantwortlich machen könne. Schuld waren das Kapital und seine „gierige“ Gefolgschaft, die Bourgeoisie. Den freiheitsliebenden Citoyen dagegen, der manchmal als politischer Rebell, oft aber auch als Künstler, Literat oder Wissenschaftler in Erscheinung tritt, hatte ich stets bewundert und von… mehr

Über die Armut

Ich habe nichts gegen Reiche, solange sie nicht die Herrschaft übernehmen. Ich habe nichts gegen den Markt, solange er nicht über meine Wünsche gebietet. Ich habe nichts gegen Technik, solange sie mich nicht knechtet. Ich habe nichts gegen Genuss, solange er mir nicht den Verstand raubt. Ich habe nichts gegen den Verstand, solange er sich nicht gegen mich wendet. Aber das tut er. Er rät zur Kapitulation und verspricht im Gegenzug ungeahnte Sinnenfreuden, große Bequemlichkeit, maximale Zerstreuung und ja, auch Reichtum. Aber ich will nicht reich sein. Ich sehne mich… mehr

Teil und Ganzes in Wahrnehmung und Gestaltung

Eigentlich wollte ich nur ein paar Fakten zur Wahrnehmung zusammentragen, um mich für kunstgeschichtliche Diskussionen zu rüsten. Irgendwann kam mir dann der Gedanke, dass wir ja stets mehr vor Augen haben als wir sehen. Dieser Gedanke erschien mir so bedeutsam, dass ich ihn dem Ganzen nachträglich als Fundament unterlegt habe.     

Was ist modern? Vier Versuche.

Wer sich mit Zeitgenossen verständigen will, muss ihre Sprache sprechen. In dieser Hinsicht sind die folgenden Überlegungen modern, wie ich hoffe. Modernität als Ideologie und Haltung erscheint mir jedoch seit langem fragwürdig. Zwei Aufsätze, einen Dialog  und ein Treatment später hat sich an dieser Einstellung nichts geändert.

Sprachgläubigkeit

“If every word I said could make you laugh I’d talk forever.” Dennis Wilson Ich habe mich immer zu Heidegger hingezogen gefühlt, allein schon wegen solcher Wörter wie Gestell. Auch zu Derrida habe ich mich hingezogen gefühlt. Neuerdings fühle ich mich zu Judith Butler hingezogen. Zugleich werde ich abgestoßen von diesen Denkern. Ich schlage ein Buch auf, beginne mit der größten Neugier zu lesen und werde bereits nach wenigen Zeilen abgestoßen. Ich werde auch von Einführungen und kurzen Darstellungen, sogar von Wikipedia-Artikeln abgestoßen. Ich glaube, diese Denker haben eingesehen, dass etwas falsch läuft in der Welt und dass dieses… mehr

Über Gestaltung

„Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“ Jean-Jacques Rousseau Geschichte ist gestaltete Zeit. Wer diesen Satz nicht versteht, ist nicht notwendig dumm, aber ganz gewiss ein bisschen zurückgeblieben. Denn der heutige Mensch zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er in allem und jedem (einschließlich sich selbst) ein Objekt der Gestaltung erblicken will. Bis vor kurzem waren wir vor allem Arbeiter. Auch als Künstler, Hausfrauen, Wissenschaftler oder Bankiers waren wir Arbeiter. Heute sind wir vor allem Gestalter.… mehr

Der eingebildete Himmel

Im Namen eines beinharten Feminismus betreiben Pädagogen und Politiker die “Entnaturalisierung” von Geschlecht und Familie. Leider verkennen die Befreiungssexologen die Natur der Kultur. Des Heiligen beraubt kippt sie ins Bodenlose. Was bleibt, ist eine zum Sprachspielhimmel verklärte Machtspielhölle Das Wort „anständig“ zum Beispiel: Es geht einem so leicht über die Lippen und fühlt sich in seiner scheinbar alle Moralität einschließenden Bündigkeit so natürlich, gut und richtig an, dass der Abgrund, der sich in ihm auftut, kaum noch wahrnehmbar ist. Und doch zählt „anständig“ spätestens seit der Posener Rede Heinrich Himmlers („Dies durchgehalten zu haben,… mehr

Alterskitsch

Kulturpessimismus aus der hinterwäldlerischen Perspektive! Bis zur Lachhaftigkeit schwarzseherisch und schönfärberisch! Alterskitsch! Jawohl Alterskitsch, bei dem Gegenwart und Zukunft zuverlässig abkacken und alles Gewesene leuchtet! Es ist nicht zum Aushalten, sagt der Kritiker, als was für ein rückwärts gewandtes Arschloch du dich in diesen Texten präsentierst. Das hätte ich nie von dir gedacht! Die Vorwürfe überraschen mich nicht. Ich frage mich praktisch jeden Tag, ob ich eigentlich noch bei Trost bin. Ich ringe um Rechtfertigung. Zum Beispiel bin ich mir sehr wohl darüber im Klaren, wie gut es mir und… mehr

Imperium

Ist die Natur ein Herrschaftsapparat, gegen den man sich zur Wehr setzen muss, wie die Philosophin Judith Butler glaubt? Ist sie identisch mit dem Imperium der modernen Physik? Wie weit müssen wir gehen, um frei zu sein? Aussehen, Charakter, Geschlecht, Krankheit, Alter, Tod: Es gibt es nichts, mit dem wir uns abfinden müssten. Judith Butler wenigstens scheint es so zu sehen. Für die amerikanische Queer-Theoretikerin ist alles Gegebene ein Gespinst, die Biologie ein Ammenmärchen, die Natur eine Diktatur. Nun hat vermutlich selbst die berühmte Philosophin nichts gegen klares Wasser, frische Luft oder eine schöne… mehr

Pasolini

Eine Reflexion vor dem Spiegel. Ein Augenblick des Aufbegehrens. Eine Erinnerung an den Freidenker Pier Paolo Pasolini. 1975 wurde der italienische Regisseur ermordet; im selben Jahr erschienen seine Freibeuterschriften, aus denen ich im Text zitiere  Mit sechzig kann der Blick in den Spiegel zum erkenntnistheoretischen Abenteuer werden. Normalerweise fehlt einem natürlich der Mut es anzutreten. Man hat sich kennen gelernt und nähert sich dem Spiegel mit dem festen Vorsatz sich wiederzuerkennen. Das Gegenüber ist dann nichts weiter als das durch selektive Wahrnehmung erzeugte Selbstbild, mit dem man sein ganzes Leben verbracht hat. Gewiss können plötzlich auftauchende Flecken und Eintrübungen den Erkenntnisakt zu einer… mehr