Me, Myself an Eye

„Vierundzwandzig Philosophen waren einmal versammelt. Dabei blieb ihnen nur eine Frage offen: Was ist Gott?“ So unumwunden auf die zentrale Frage zielend, wie das mittelalterliche Buch der vierundzwanzig Philosophen beginnt, so schnörkellos sind auch die Antworten, die es gibt. Die erste lautet: „Gott ist die Monade, die eine Monade erzeugt und sie in einem einzigen Gluthauch auf sich zurückbeugt.“ Das heißt, auf das Erzeugnis bezogen: Die Welt tritt aus der Ureinheit hervor und bewegt sich in glühender Liebe in ihren Ursprung zurück. Und ist es nicht so? Zumindest das dreigliedrige… mehr

Im Detail

Für den Architekten Ludwig Mies van der Rohe war es nicht der Teufel, der im Detail steckt, sondern Gott. Aber wie dem auch sei, es läuft auf das Gleiche hinaus. Gemeint ist eben, dass es aufs Detail ankommt, wenn es ums Ganze geht. Denn das Ganze besteht in jedem seiner Teile. Als ästhetisches Gebilde besteht ein Haus nicht allein in seiner Kubatur und seiner Materialität, sondern ganz entschieden auch in „Kleinigkeiten“ wie dem Fugenbild seines Mauerwerks oder den Sprossen seiner Fenster. Hässliche Fugen (Teufel) verpfuschen das Gesamtbild, schöne Fugen bekräftigen… mehr

Zu viel vom Gleichen

Es wird kurz vor den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewesen sein. Die Tagesthemen bringen eine Reportage über den rust belt, die kriselnde Industrieregion im Nordosten der Vereinigten Staaten. Sie zeigen marode Fabrikgebäude, traurige Straßen, schließlich einen ehemaligen Bergmann. Er steht, die Hände in den Taschen, in der bröckelnden Kulisse und spricht von der verlorenen Zeit. Das sei ein Leben gewesen damals, sagt er und fährt fort: »Ich will wieder arbeiten, dass mir der Schweiß den Rücken runterläuft.« Ich mag diesen Kumpel aus Ohio oder Michigan, seine lakonische Hymne an den Schweiß rührt… mehr

Über Techno

Die elektronische Tanzmusik der 1990er Jahre heißt nicht von ungefähr Techno. Das Etikett zeigt an, dass Technologie bei der Erzeugung der Musik eine wesentliche Rolle spielt; außerdem ist der Name Ausdruck einer klangästhetischen Präferenz: Techno klingt technoid. Aber noch aus einem weiteren Grund ist die Bezeichnung treffend. Techno ist technisch auch in dem Sinne, dass die Musik über eine klar umrissene Funktion hinaus nichts vermittelt. Sie ist wirkungsvoll, aber bedeutungslos. Sie stimmt den Hörer auf nichts ein, sie hebelt ihn aus …

Technikkritische Betrachtungen 1

Techniker sind Realisten und Praktiker, aber sie sind nicht die Realisten und Praktiker schlechthin, als die sie sich oft ausgeben und von ihren Bewunderern wahrgenommen werden. Techniker sind Realisten und Praktiker besonderer Art. Als Realisten sehen sie die Welt, wie sie ist, aber nicht vornehmlich, um ihre Wunder zu bestaunen oder ihre Rätsel zu ergründen, sondern um ihre Mängel festzustellen. Als Praktiker handeln sie in der Welt, aber nicht vornehmlich, um Erfahrungen in ihr zu machen, sondern um Reparaturen an ihr vorzunehmen. Ihre Erfolge bei der Ausbesserung der Welt haben… mehr

Technikkritische Betrachtungen 2

Es ist evident, dass die Praxis durch den technologischen Zugriff laufend revolutioniert wird. Mitte des 18. Jahrhunderts setzt jener permanente Wandel der Verhältnisse ein, der das an die Macht strebende Bürgertum zugleich begeistert und bestürzt und den es, um beim Vorwärtsstürmen nicht zu verzweifeln, umgehend als natürlichen Gang der Dinge hinstellt. Handgriffe fallen weg, Tätigkeiten erübrigen sich, Kompetenzen werden obsolet, nicht mehr gebrauchte Talente verkümmern, nicht mehr gebrauchte Charaktere sterben aus, Berufe verschwinden, andere entstehen, um bald darauf wieder überflüssig zu werden – und dennoch stellt sich die Mehrzahl der Bevölkerung immer wieder… mehr

Technikkritische Betrachtungen 3

Aus technikgeschichtlicher Sicht markiert der Erste Weltkrieg den Beginn eines Goldenen Zeitalters. Bereits in den Vorgängerkonflikten hatte sich die Technik zu einem kriegsentscheidenden Faktor entwickelt, aber 1914 brach sich etwas qualitativ Neues Bahn. Wahrscheinlich war der Erste Weltkrieg der erste technologische Krieg der Weltgeschichte. Indem sie sich ganz auf Funktionszusammenhänge konzentrierten, entwickelten Ingenieure Vernichtungsvorrichtungen von beispielloser Effizienz. Aber es ging keineswegs nur um Waffen. Einer der spektakulärsten Erfolge der Weltkriegstechnik war die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens zur Ammoniak-Synthese durch Fritz Haber und Carl Bosch. Das grandiose Unternehmen bringt Glanz und Elend der anbrechenden… mehr

Technikkritische Betrachtungen 4

Da noch zwei Bände von Ice and Fire ausstehen, wissen wir nicht genau, wie George R. R. Martin seine Welt von den Anderen befreien wird. Aber wir ahnen es, denn natürlich hat der Erzähler die helfenden Mächte und heilenden Kräfte längst in Position gebracht. Neuartige Waffen (aus Obsidian) werden bei der Bekämpfung der Anderen eine Rolle spielen. Mächtige Wesen (Drachen) werden ihren Auftritt haben. Doch am Ende wird es wohl der lahme Seher Bran Stark sein, der als Helfer in höchster Not die drohende Niederlage in einen triumphalen Sieg verwandelt …

Technikkritische Betrachtungen 5

Da das Subjekt auf die durch den technischen Fortschritt immer wieder aufs Neue herbeigeführte Weltfremdheit nicht anders reagieren kann als mit der Erzeugung subjektivistischer Blasen, sieht sich jede Generation seit Beginn der Moderne vor das Problem der seelischen Entsorgung gestellt. Die immer aktuelle, niemals in befriedigender Weise zu beantwortende Frage lautet: Wohin mit dem leidigen Ich? …

Vom Austernleben

Viel ist in diesen Tagen wieder vom hässlichen Deutschen die Rede, und wieder verstehen die Wohlgesinnten die Welt nicht mehr. Demütigung der Griechen? Spardiktat? Export-Übermacht? Hegemonie? Wir handeln doch vernünftig, heißt es. Und Vernunft ist doch etwas unbedingt Gutes. Und Innovation, Fortschritt, Wachstum, Tüchtigkeit, Rechtlichkeit und Rechtschaffenheit sind doch unbedingt vernünftig! Einmal mehr fühlt sich der brave Deutsche verkannt. Einmal mehr beschleicht ihn der Verdacht, die anderen setzten ihn nur deshalb herab, weil sie es ihm in fairem Wettbewerb nicht gleichtun können.